Tranquebar: Dänemark in Indien*

Als einstiger dänischer Handelsstützpunkt stellt Tharangambadi (früher: Tranquebar) eine Besonderheit der Kolonialgeschichte an der südindischen Coromandelküste dar. Hier wollte das unter Christian IV. zur See- und Handelsmacht aufstrebende Dänemark am Ostindien-Handel partizipieren, der seit Anfang des 16. Jhs. die europäischen Mächte in einen ruinösen Wettbewerb um Stützpunkte und Monopole rund um den Indischen Ozean trieb. Ein Vertrag mit den Nayaks von Thanjavur, der Territorialmacht im Kaveri-Delta, sicherte ab 1620 der dänischen Krone das Recht, von Tranquebar aus – so der damalige Name – Handel zu treiben.

Danske Fort, restauriert, August 2017

Sichtbares Relikt dieser dänischen Gründung ist die Dansborg, eine Mischung aus Fort und Burg. Sie grenzt im Süden ein Ensemble von Paradeplatz, Villen, Bungalows und Kirchen entlang der „Königsstraße“ bis zum westlichen Stadttor (Landgaten) ab, welches in den vergangenen Jahren mit großem Aufwand restauriert worden ist.

Geschichte und Mission

Das historische Erbe Tranquebars besteht weder in der nachhaltigen Profitabilität überseeischer Aktivitäten (die waren im 17. Jh. nahezu immer defizitär), noch in bleibenden Verbindungen zum „Mutterland“ Dänemark (immerhin ist Tranquebar blau für Porzellan in Dänemark ein Begriff wie Delfter Porzellan in den Niederlanden), sondern es führt nach Mitteldeutschland. Tranquebar ist eng verbunden mit der ersten protestantischen Mission in Übersee aus Halle an der Saale, die mit Zustimmung des dänischen Königs die Coromandelküste erreichte. Die Dänisch-Hallesche Mission ist vor allem von Bartholomäus Ziegenbalg geprägt, der 1706 nach Tranquebar kam und dort nach 36 Jahren Arbeit verstarb. Das Erlernen von Tamilisch, Übersetzungen von Texten jeweils aus Tamilisch in Deutsch und umgekehrt, Bau von Schulen und – heute würde man sagen – dörflichen Entwicklungsprojekten prägten die Arbeit der Hallenser mehr als missionarischer Eifer. Die Schwartz Church neben dem Palast des Rajas von Thanjavur, die Ausstattung der Bibliothek des Rajas mit europäischer Fachliteratur sind spätere Beispiele einer Annäherung, die dann von den Kriegen Frankreichs und Englands über die koloniale Vorherrschaft im Süden Indiens überdeckt wurde und bei der die Zivilbevölkerung am meisten zu leiden hatte. Heute sind die Zion’s Church von 1701 und die New Jerusalem Church von 1718 ebenso sorgfältig restauriert, wie die Denkmäler der Missionare aus Halle.

Geographie und Wirtschaft 

Tharangambadi liegt knapp 300 Straßen-km südlich von Chennai. Administrativ gehört es zum Nagapattinam Distrikt, der nahezu die gesamte 187 km lange Nord-Süd verlaufen Küsten“front“ des Kaveri-Deltas einnimmt. Das Klima wird vom monsunalen Wechsel der Niederschläge bestimmt, wobei das durchschnittliche 9 m über NN hohe Relief der Küstenregion ausreicht, um zwei Drittel des jährlichen Niederschlags von rund 1.300 mm während des Nordost-Monsuns (Oktober bis Dezember) zu erzeugen.

Reisanbau und Fischerei sind die einzigen nennenswerten Wirtschaftszweige einer dicht besiedelten Region. Tharangambadi hat gut 20.000 Einwohner, der Distrikt hat knapp 1,5 Millionen auf einer Fläche von 271.000 qkm (Dichte von 548 Einw. pro qkm), Zu den klimabedingt möglichen zwei Reisernten pro Jahr aber sind die Niederschläge nicht ausreichend, der Reisanbau mit Hochertragssorten ist stark auf die Bewässerungssysteme des Deltas angewiesen. Diese werden von den aus dem Südwest-Monsun gestauten Wassermengen in den Reservoirs der West Ghats bestimmt, über deren Kontrolle der Bundesstaat Tamil Nadu nur in geringem Maße verfügt. Die Mehrheit der Bewohner arbeitet als Landarbeiter oder Tagelöhner ist damit auch den saisonalen Schwankungen der Landarbeit unterworfen.

Tsunami von 2004

Wiederaufbauarbeiten 2007

Die Welle des Seebebens von Sumatra traf die südostindische Küste kapp zwei Stunden später, gegen 9 Uhr morgens Ortszeit. In Tranquebar wurden vor allem die Fischersiedlungen am Nordrand des Städtchen betroffen. Hier ist die Küste flach und die Wassermassen trugen Boote hunderte Meter landeinwärts, wie Satellitenfotos zeigen. Im historischen Ensemble bildeten Felssprünge und Mauerreste der Hafenanlagen geringen Schutz gegen die Welle, aber auch hier strömte Wasser meterhoch quer durch die Stadt. Ein Teil wurde über den südlich anschließend Priel kanalisiert, so dass zwar strukturelle Zerstörungen an Gebäuden vergleichsweise gering blieben, aber die Wassermassen dennoch erhebliche Schäden anrichteten. Über 400 Menschen kamen in Tarangambadi ums Leben.

Eine anschließende internationale Hilfswelle überrollte die Regionen am Indischen Ozean. Dänemark, in Partnerschaft mit Europäischer Union, fühlte sich seinem ehemaligen Außenposten besonders verbunden und widmete sich neben der Tranquebar-Initiative des Dänischen Nationalmuseums der Rehabilitation der traumatisierten Fischerfamilien und dem Wiederaufbau der vom Wasser beschädigten historischen Gebäude. Heute, zehn Jahre nach der Katastrophe von 2004, sind diese Arbeiten weitgehend abgeschlossen. Die Planung und Ausführung der Restaurationsarbeit wurde vom INTACH-Chapter in Pondicherry übernommen.

INTACH Pondicherry’s Tranquebar-Projekt

Der Indian National Trust for Art and Cultural Heritage (INTACH) ist eine Indien weite Nicht-Regierungsorganisation mit Sitz in Delhi und über 140 Regionalbüros (Chapters). Das in Pondicherry wurde 1984 gegründet, aber rekonstituierte sich mit engagierten Stadtplanern, Architekten und Aktivisten im Jahr 1998. Deren Ziel war es, die vom Verfall bedrohte Bausubstanz des kolonialen Pondicherry zu schützen. Öffentliche Einrichtungen und internationale Geldgeber, wie der dänische Bestseller Fund, nutzen die Expertise von INTACH für Heritage Conservation Projekte. Tranquebar wurde in die Initiativen von INTACH Pondicherry mit einbezogen. Hier übernahm zudem ein privater Investor, die Neemrana-Gruppe, den einstigen Collector’s Bungalow und restaurierte das Gebäude als Heritage-Hotel („Bungalow on the Beach„) samt Außenanlagen. INTACH hat eine Tranquebar_Heritage_walk_Map (pdf) zusammengestellt, die mit einer gut gestalteten Karte die einzelnen Gebäude für den Besucher zugänglich macht.

Nachtrag vom 7.7.16: Das dänische Fort wird demnächst mit Mitteln der Asian Development Bank (ADB) restauriert.

Perspektive Tourismus 

Mit den beiden Hotels der Neemrana-Gruppe (neben dem Bungalow auch „The Gate“ nahe dem Stadporten) bietet Tharangambadi zwar ein stimmungsvolles Refugium für anspruchsvollen Tourismus. Aber die periphere Lage, gut zweieinhalb Stunden Fahrt von Pondicherry und mehr als fünf Stunden von Chennai aus, lassen kein zahlenmäßig großes Besucheraufkommen erwarten, das nachhaltige wirtschaftliche Impulse geben könnte. Dazu reicht weder der immerhin wachsende Inlandstourismus aus, noch der internationale Kulturtourismus, der sich stärker auf die weiter östlich gelegenen „Tempelrouten“ (Chidambaram, Thanjavur, Tiruchirapalli, Madurai) konzentriert. Eine Chance bieten Empfehlungen über soziale Netzwerke an Individualtouristen, die auf der Suche nach Authentizität und „off the beaten track“ in Tarangambadi auf ihre Kosten kommen. An solchen Juwelen ist Südindien reicher, als die meisten klassischen Landeskunden und Reiseführer gewöhnlich vermitteln. (rj)

* Der Beitrag wurde ursprünglich im Februar 2014 auf meiner Blog-Seite „Pondi Times“ veröffentlicht. Er ist hier nur im Layout modifiziert. (rj)