Japan und wir

„Dieses Volk ist … weitaus das höchststehende von allen neuentdeckten Ländern der Welt; und ich wüßte nicht, welches andere heidnische Volk sich mit den Japanern messen könnte. Sie sind im allgemeinen, durchaus gut veranlagt, frei von Bosheit und sehr angenehm im Umgang; ihr Ehrbegriff ist besonders ausgeprägt, die Ehre geht ihnen über alles.“ Ein solches Urteil fällt einer der ersten „westlichen“ Besucher Japans in einem Brief, den er am 5. November 1549 aus Kagoshima an die „Väter der Gesellschaft zu Goa“ abschickt, gemeint ist die Zentrale der Jesuitenmission in Indien. Sein Name ist Francisco de Xavier, ein aus dem spanischen Baskenland stammender Edelmann, der mit portugiesischen Handelsschiffen zwischen Goa, Cochin, Malacca, Macao und eben Kagoshima in Sachen christlicher Missionierung unterwegs war (später wurde er als „Apostel Asiens“ heilig gesprochen, seine Gebeine liegen noch heute in der Bom Jesus-Kathedrale in Goa).

„Untereinander verkehren die Japaner mit großer Höflichkeit; Beleidigungen und Schimpf dulden sie nicht. … Der Japaner ist mäßig, vor allem im Essen, im Trinken allerdings etwas weniger; ihr Getränk ist aus Reis gewonnener Wein, Trauben gibt es hier nicht,“ schreibt de Xavier weiter. „Ein großer Teil der Bevölkerung kann lesen und schreiben; das ist für unsere Arbeit von großem Gewinn, denn auf diese Weise können wir sie leichter in die Glaubenslehre und in die Gebete einführen.“ Und weiter: „Das ganze Volk ist gut veranlagt, sittlich hochstehend und geistig rege. Über religiöse Fragen sprechen sie gern … . Die meisten Japaner verehren den Geist großer Vorfahren, welche nach dem was ich erfahren konnte, historische Gestalten, meist Philosophen, gewesen sind.“

Aus einem Prospekt des Dejima Restoration Projects, Nagasaki

Nun verfolgen die Jesuitenoberen im fernen Goa mit dieser Einschätzung zur Seele Japans zwar einen eigenen Zweck, aber der Gottesmann Francesco de Xavier trifft mit seinem Bericht aus Kagoshima einige kulturelle Merkmale, die in Japan heute noch gültig sind und denen wir jüngst bei einer Japanreise begegneten, die uns auch nach Kagoshima und Nagasaki führte.

Japan hat sich, so schien es uns, seine kulturellen Werte bis heute erhalten. Sie prägen eine wirtschaftlich extrem erfolgreiche Gesellschaft, die längst den Übergang ins 21. Jahrhundert bewältigt und weltweit „Made In Japan“ zu einer Qualitätsmarke gemacht hat – von Computern über Unterhaltungselektronik bis zu Autos und Maschinenbau. Gleichzeitig ist das Land ein Musterbeispiel an Perfektion im Alltag geblieben, von der sauberen Umwelt (allem Fukushima-Image zum Trotz), über die wundervollen Gärten um Tempel und Schreine herum bis zur Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit des öffentlichen Nahverkehrs, vor allem der super schnellen Eisenbahnen. Die ausgesuchte Höflichkeit untereinander und uns Fremden gegenüber mag etwas steif wirken, sie ist aber wohltuend und zwingt uns Besucher zur Anpassung im besten Sinne. Vorlaut, barsch und unzuverlässig sein ist in Japan ein no-go.

Altes Dampfsegelschiff im Hafen von Nagasaki

Auf der Insel Kyushu trafen im 16. Jahrhundert die wirtschaftlichen Interessen des iberischen Europas und des Palastes in Kyoto aufeinander. Portugiesische Schiffe, aber auch chinesische Junken transportierten Waren aus Südostasien nach Japan. Nagasaki wurde zum Handelsdrehkreuz mit dem Westen, der hier am Ostrand Eurasiens gleich hinter der Küste Kyushus begann.

Aber der Geist der Reconquista und der damit verbundene Bekehrungseifer im Gefolge von Kommerz trieb auch katholische Missionare nach Japan. Jener Francisco de Xavier hatte beim Studium an der Sorbonne in Paris einen WG-Mitbewohner, Ignatius von Loyola, kennen gelernt und ließ sich von missionarischen Aufgaben in Asien überzeugen. Hier kam ein Intellektueller, dem das Kenenlernen von Land und Leuten ebenso wichtig war, wie die Mission. Daraus wurde nach seinem Tod hingegen ein inquisitorischer Übereifer, der dem Begriff „Jesuitenmission“ in Indien und Ostasien eine sehr negative Bedeutung gegeben hat. Immerhin, hundert Jahre durfte katholische Mission in Japan wirken, bis im Gefolge der Shimabara Rebellion 1641 die Portugiesen aus Japan verbannt wurden. Sie hatten die teils christlichen aufständischen Bauern unterstützt. Hingegen erlaubte es der Palast in Kyoto den weit weniger proselytisch aktiven Holländern, auf der Flussinsel Dejima in Nagasaki weiter eine Faktorei zu unterhalten, wenngleich die Kaufmannschaft wie in einem goldenen Käfig weilte.

Die Spuren christlicher Mission sind an der Westküste Kyushus auch außerhalb von Nagaskai zu finden. Heute ist man selbstbewusst und nutzt diese 500 Jahre alte Geschichte zur Ankurbelung des Tourismus. Aber es bleibt eine teuflische Ironie abendländischen Geschichtsverständisses, am 10. August 1945 eine Atombombe über Nagasaki abzuwerfen, welche zehntausende Menschen in einem Feuerball umbrachte und mit der gesamten Stadt an jenem Vormittag auch die nur 500 Meter vom Hypozentrum entfernt liegende Urakami-Kathedrale zerstörte. Ein Rest des Portals ist im Atomic Bomb Museum rekonstruiert worden, ein Originalstück steht im Friedenspark, der das Hypozentrum markiert.

Portal der Urakami-Kathedrale im Atombombenmuseum von Nagasaki

 

In Nagasaki können heute nur noch einzelne Schilder an die vielen Zeugnisse seiner Geschichte erinnern. Mit großem Aufwand wird aber im Stadtzentrum das alte Dejima rekonstruiert, die umzäunte holländische Niederlassung, mit der das Shogunat in Kyoto internationalen Handel trieb.

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Japan öffnet sich für Touristen, Englischkenntnisse nehmen allenthalben zu. Mit einem Japan Rail Pass können ausländische Besucher die Shinkansen-Züge nutzen und so das Land zwischen Sapporo und Kagoshima in Breite und Länge bereisen. Im Juni diesen Jahres findet in Osaka der G20-Gipfel statt und 2020 ist Tokio zum zweiten Mal nach 1964 Gastgeber der Olympischen Sommerspiele.

Was uns betrifft, wir trafen auf unser Japan: ein Land in Harmonie mit sich selbst und seiner Umwelt. Ruhe, Ästhetik, Mäßigung, Zurückhaltung und Good Will, alles Tugenden, die schon ein Francisco de Xavier im 16. Jahrhundert vorfand, begegneten uns allenthalben: in Hotels, Restaurants, Bahnhöfen, Bussen und Shopping Malls. Zugegeben, das ist unser persönliches Japan. Wir suchten es – und wir fanden es.

Weitere Informationen:

Papstbesuch in Nagasaki, November 2019. Aljazeera online, 19.11.2019