Der Domschatz von Halberstadt in Sachsen-Anhalt enthält religiöse Kunstschätze aus dem Mittelalter, wie sie sonst in Europa kaum zu finden sind. Mit dem Neubau der Schatzkammer im Jahr 2008 haben diese Schätze einen würdigen und vor allem sicheren Platz an der Seite des gotischen Doms erhalten.
Am Freitag, den 13. April 2018 veranstaltet die Stadt eine Nacht im Domschatz. Das Event erinnert an das zehnjährige Bestehen der neu gestalteten Schatzkammer, hat aber auch einen historischen Bezug: An jenem Tag im April 1204 plünderten die Soldaten des Vierten Kreuzzuges die Stadt Konstantinopel, Metropole des oströmischen Reiches. Einige Beutestücke fanden ihren Weg nach Halberstadt und sind Bestandteil des Domschatzes.
Quelle: Von Guilhem06 – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=14336136
Die Weltpolitik des späten 12. Jahrhunderts war unserer Zeit nicht unähnlich: Im Nahen Osten verschärfte sich der Konflikt zwischen Islam und Christentum, störte aber die lukrativen Beziehungen der Handelsmacht Venedig mit der Levante. Mittendrin das griechisch geprägte Oströmische Reich mit der Hauptstadt Konstantinopel, das sich vom Heiligen Römischen Reich kulturell und theologisch entfernt hatte. Lateiner gegen Griechen, so sah der Konflikt verkürzt aus. Und gleich östlich der Linie Samsung-Bodrum das Seldschukenreich in Anatolien.
Als sich 1202 französische Ritter nach Venedig aufmachten, um dort mit Schiffen und Soldaten des Dogen gegen Ägypten vorzugehen, ahnten sie nicht, dass sie sich zu dessen Werkzeug machen, nebenbei Adriahäfen erobern und zu guter letzt Konstantinopel plündern würden. Aus frömmelnden Kreuzfahrern wurden auch hier wieder, wie in den Kreuzzügen zuvor, Beuteritter. Nur dass diesmal das Opfer die christlichen Glaubensbrüder in Ostrom waren. Die Ereignisse im April 1204 vollendeten die Spaltung zwischen West- und Ostrom und legten letztlich den Grundstein für die Eroberung Konstantinopels durch muslimische Heere im Jahr 1453. Venedig aber blieb bis zur Entdeckung der Seeroute um das Kap der Guten Hoffnung Handelsplatz Nummer 1 in Europa.

Einer der Teilnehmer jenes vierten Kreuzzuges war Konrad von Krosigk, Bischof von Halberstadt. Ursprünglich wollte er zur Lösung eines Kirchenbanns eine Pilgerreise ins Heilige Land machen, fuhr dann aber mit den Venezianern nach Konstantinopel. Später setzte er seine Reise Richtung Palästina fort und blieb ein Jahr in Tyrus, dem heutigen Libanon. Am 16. August 1205 kam er nach Halberstadt zurück, beladen mit Reliquien, die heute zu den vielen Kostbarkeiten des Domschatzes in der Vorharzstadt gehören. Zusammen mit den Altarteppichen aus dem 12. Jahrhundert und einer Vielzahl liturgischer Geräte, Gewänder, Plastiken und Altarmalereien gehört der Domschatz von Halberstadt zu den wichtigsten in Europa.
Mit der 2008 eröffneten neu gestalteten Domschatzkammer hat Halberstadt nicht nur eines seiner vielen anderen Besucher-Highlights aufgewertet. Es hat auch eine Verpflichtung übernommen, die Stücke aus Konstantinopel würdig und sicher aufzubewahren. Das ist mit der neuen Schatzkammer gelungen. Offizielle Rufe der Ostkirche (und aus dem Kreml und der Türkei) nach Rückgabe der Reliquien von 1204 sind bislang nicht bekannt worden. Mit der seit 800 Jahren unversehrten Aufbewahrung hat Halberstadt ein defacto-Anrecht auf die Kostbarkeiten aus Konstantinopel erworben.
Das Museum hat gelegentlich Besuchern aus der griechisch-orthodoxen Welt exklusiven Zugang zu den dort hochverehrten Reliquien gewährt. Angesichts der Bedeutung der Stücke für die orthodoxe Kirche sollte man darüber nachdenken, wie man dies mit dem musealen Konzept verbinden kann. So könnte in bestimmten Zyklen ein Besuchertag für orthodoxe Christen eingeführt werden, etwa am 16. August, jenem Tag, an dem die Reliquien aus Konstantinopel in Halberstadt ankamen. Dies würde nicht nur ein Beitrag zur Versöhnung mit der Ostkirche sein, sondern auch den Tourismus beleben. Halberstadt hätte eine solche Rolle verdient.
Weitere Informationen: Webseite des Domschatzes Halberstadt mit 360° Rundgang
Quellen zum Vierten Kreuzzug (in Englisch)
Ausstellung Byzanz und der Westen, ÖAW 12.4.2018

Weitere Informationen:
Domschatz Halberstadt wird der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt übergeben. Sueddeutsche.de 12.12.2019