Wo die Seelen Frieden finden

Wer sein Seeelenheil sucht, stürzt sich zuweilen in einen Einkaufsrausch, geht im Wald spazieren oder hört gute Musik. In Indien reicht das nicht. Die Seele bewegt sich in einem ewigen Kreislauf von einem mehr oder weniger leidvollen Leben ins nächste. Um diesem Kreislauf zu entkommen und den Seelenfrieden im Nirwana zu finden, bedarf es nicht nur Tugendhaftigkeit und der Einhaltung von Lebensregeln, sondern größerer Anstrengungen, zum Beispiel Pilgerfahrten an die heiligsten Orte des Subkontinents. Einer davon ist die Ganges-Hughli-Mündung in Westbengalen.

An der Südspitze der Insel Sagar trifft der heilige Fluss auf den Ozean, wo der Kreislauf (des Wassers) erneut beginnt. Nicht nur der Ort selbst, sondern vor allem auch der Zeitpunkt, an dem der Pilger in die Fluten eintaucht, hat dabei große Bedeutung. 2018 fiel der heilige Tag auf den 14. Januar. Vor einer guten Woche kamen dazu fast 2 Millionen Gläubige an die Südspitze von Sagar Island – und heil wieder zurück. Man stelle sich vor, innerhalb weniger Tage und Stunden müsste etwa Cuxhaven an der Mündung der „Göttin“ Elbe eine solche Zahl von Menschen verkraften: jeder Zug, jede Fähre und jede Straße wäre überlastet.

Ich habe im August 2017, in glühender Hitze und total außerhalb der Pilgersaison, die Insel besucht. Sie ist nur mit einer Personenfähre vom Festland bei Kakdwip zu erreichen, gut drei Fahrstunden südlich von Calcutta. Und die war schon bedenklich überfüllt, weil Niedrigwasser zuvor den Fährverkehr behindert hatte.

Kaum vorstellbar, wie in kurzer Zeit Hunderttausende auf die Insel gebracht werden konnten. Zwischenfälle jedenfalls gab es nicht. Es sind diese indischen „Wunder“, die bei uns nur Schlagzeilen machen, wenn etwas katastrophales passiert.

Das sedimentreiche Wasser des Hughli verbindet sich hier mit dem Golf von Bengalen, am Westrand des größten Deltas der Erde und Heimat von weit über 200 Millionen Menschen. Ein Eintauchen in die Wellen und eine Puja am nahegelegenen Tempel sind die wichtigsten Rituale. Der Begriff „Seelenverwandtschaft“ hat hier eine ganz neue Bedeutung.

Mit dem Besuch auf Sagar Island ist die Seele ihrer Erlösung näher gekommen. Auf dem Weg zurück nach Calcutta und in alle Teile Indiens sind die Pilger voller Freude. Einer fragt, was mich hier an diesen entlegenen Ort treibe. Meine Antwort, ich sei Geograph und habe schon daher ein großes Interesse an bedeutenden Plätzen und Orten, überzeugt nicht ganz. Er arbeite für Caterpillar in Calcutta, aber seine Familie stammt aus dem Punjab. „Haben Sie bemerkt,“ meint er, „dass es keinerlei Sicherheitsvorkehrungen auf diesen Fähren gibt?“ Tatsächlich hatte ich mir schon auf der Hinfahrt Gedanken gemacht, wie ich ins Wasser springen und meine Seele retten würde. Und während sich das Schiff wieder dem Festland nähert – ohne Rettungsboote oder Schwimmwesten – geht mir durch den Kopf : „Hoffentlich müssen wir nicht SOS senden: Save our Souls!“

Weitere Informationen:

Seele bei Wikipedia 

Sagar Island (English) bei Wikipedia 

Pilgerfahrt nach Sagar Island auf der Webseite eines Reiseveranstalters