Nicht oft gibt es Gelegenheit, einen sehr markanten 500. Jahrestag zu feiern: der 31. Oktober 2017 ist so einer. Stellen wir uns vor, dass ein nicht ganz 34-jähriger Mönch an einem stürmischen Herbstmorgen mit Herzklopfen zur Schlosskirche in Wittenberg ging und dort ein Blatt (in Latein und handgeschrieben?) an die Kirchentür heftete. Die Kirchgänger am Vorabend von Allerheiligen sollten seine Vorstellungen einer reformierten Kirche lesen, die er in 95 Thesen zusammen gestellt hatte – nach langem und quälendem Grübeln.
So beginnen Revolutionen in deutschen Landen: Selbstzweifel, intensiver innerer Dialog, dafür aber am Ende eine feste Überzeugung, das Richtige zu glauben und zu tun. Und nimmt man die Zeitperspektive ein wenig gröber – sagen wir bis 1648 – dann war das, was an jenem letzten Oktobertag 1517 begann, tatsächlich eine Revolution – mit Blut und Tränen, mit Gewalt, Krieg und nebenbei einer völligen Veränderung Europas. Martin Luther hatte „nur“ eine Reformation beabsichtigt, seine Tat und alles was folgte, bedeutete eine Zeitenwende. Ein Beitrag in der Washington Post von heute beschreibt es besser, als ich es hier könnte: wie Gedanken im einzelnen Menschen reifen, wie sie um sich greifen und letztendlich politisch bewegen.
Die gleiche Renaissance, die in Italien dekadente Kirchenführer, aber unglaubliche Kunstwerke – samt Petersdom und Sixtinischer Kapelle – produzierte, schuf nördlich der Alpen eine massive Gegenbewegung, aus der gleichen Grundkonstante: der einzelne Mensch und seine Beziehung zu Gott war der neue Maßstab, und nicht mehr Dogmen und Verdammnisängste, welche „Gläubige“ und Bürger in Schach hielten. Dem nachdenklichen jungen Mann aus Eisleben und Mansfeld, aber auch seine Standfestigkeit gegenüber weltlichen und kirchlichen Mächten (und ganz sicher auch das Machtspiel zwischen Landesfürsten und dem – seit 1492 – globalen Machtanspruch des Kaisers jenes amorphen „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“) gelang eine Wende, die mit Reformation eigentlich nur unzulänglich beschrieben ist.
Eine komprimierte Analyse über aktuelle Luther-Forschung und -Publikationen liefert ein Beitrag in der Zeitschrift