
Wer heute zu einer Tasse guten Darjeelingtees greift, wird nicht wissen, dass die Stadt, die dem Tee den Namen gegeben hat, derzeit Unruhen und einen Generalstreik erlebt. Die Landesregierung Westbengalens in Calcutta (heute: Kolkata) hatte vor wenigen Wochen entschieden, Bengali als verpflichtende Unterrichtssprache einzuführen. Sie tat dies ausgerechnet in einer außerordentlichen Kabinettssitzung in Darjeeling, der weltberühmten Teeregion im östlichen Himalaya!

Quelle: https://himalnews.files.wordpress.com/2010/05/gorkhaland-map.jpg
Nach Jahrzehnten mit Protesten und schließlich einem Abkommen über regionale Autonomie aus dem Jahr 2011 kamen alte Forderungen nach einem eigenen Bundesstaat Gorkhaland wieder hoch. Insbesondere die Gorkha Jammukti Morcha (GJM) tut sich als Meinungsführer unter den verschiedenen Parteien der Region hervor. Sie will die Distrikte in den Bergen um Darjeeling und im Vorland (geographisch Terai bzw. Doar genannt) von der vermeintlichen Bevormundung durch Kolkata unabhängig machen.
Die Gorkhas und andere nepalisch- und tibetischstämmige Bevölkerungsgruppen bilden die Mehrheit im Grenzgebiet zu Nepal, Tibet, Sikkim und Bhutan. Die vielen Touristen aus der Gangesebene, welche die unvergleichliche Schönheit Darjeelings anlockt, nennt man hier einfach „people of the plains„. Dabei geht es um Identität und nicht so sehr, wie man glauben könnte, um Tee. Allerdings mischt sich in die Autonomieforderung immer der Hinweis, dass Darjeeling und sein Umland zum Reichtum Westbengalens und zum Deviseneinkommen Indiens beitragen, ohne dass dies mit Investitionen in die Infrastruktur gewürdigt werde. Der Nachbarstaat Sikkim hingegen wird aufgrund seiner strategischen Lage mit Geldern aus Delhi ausgestattet, von denen Darjeeling nur träumen kann.
In der gesamten Teeproduktion in Indien macht Darjeeling nur einen kleinen Bruchteil aus. Die Hälfte indischen Tees (nach Anbaufläche und Ernte) kommt aus Assam, ein Viertel aus Südindien. Die Plantagen rundum Darjeeling, die man zum Teil per Fußwanderung aus dem Stadtzentrum erreichen kann, erzeugen nur rund 8 % allen indischen Tees. Dennoch steht Darjeeling für die Königsklasse des Tees.

Dies liegt an der einzigartigen Lage in rund 2.000 m Höhe, mit Böden, Niederschlagsmengen bzw. Sonneneinstrahlung und Bodenqualität, die in dieser Kombination weltweit einmalig ist. Hohe saisonale Niederschläge in der Monsunzeit (Juli-September), eine trocken-kühle Phase im Winter, mit hoher Sonneneinstrahlung erzeugen mit der ersten Ernte im Februar/März (First Flush) eine Top-Qualität. Hier werden Spitzenpreise pro Kilo auf den Auktionsmärkten erzielt.
Darjeeling als koloniales Hill Station
Darjeeling ist mehr als Tee: Die Stadt liegt am nördlichen Ende eines Sporns, welcher der Hauptkette des mittleren und östlichen Himalaya gegenüberliegt. Wie von einem Balkon kann man über all in Darjeeling den dritthöchsten Berg der Erde, den Kanchenjunga (8.586 m), sehen – ein überwältigendes Panorama. Magische Aussicht auf die Berge und eine Höhe von knapp über 2.000 m garantierten beste Sommerfrische, wenn die Ebene unten in über 35 Grad Hitze erstarrt. Das sahen schon die Briten so, welche saisonal die Verwaltung der „Kronjuwele“ Indien von Calcutta nach Darjeeling verlegten. Und noch heute ist im April und Mai Hochsaison in Darjeeling. Als Touristenziel spielt Darjeeling weiterhin eine zentrale Rolle, zumal viele Einrichtungen aus der Kolonialzeit erhalten sind: viele Kirchen, der Zoo mit dem gefährdeten Roten Panda, der Toy Train, der die Weißen von Siliguri unten in der Ebene über zweitausend Höhenmeter und in acht Stunden Fahrt nach Darjeeling brachte und die Architektur vieler Häuser und Villen (wer dort ein Zimmer bekommt, der sollte im Windamere Hotel übernachten, wo das Dinner in weißen Handschuhen serviert wird). Auch das Club-Wesen, so very British, hat sich erhalten. Man trifft sich beim Sundowner immer noch im Planters Club und die Uhr am Glockenturm funktioniert wieder. Wie in vielen Hill Stations gibt es auch in Darjeeling viele Internate. Die (männlichen) Bildungseliten in Calcutta und Dhaka haben meist die St. Paul’s School besucht, „the Eton of the East„.

Man kann der Stadt und den Menschen dort nur wünschen, dass die politischen Probleme bald einvernehmlich gelöst werden. Eine größere Autonomie allein wird nicht mehr ausreichen, ein eigener Bundesstaat ist aber schwer machbar, da andere Bevölkerungsgruppen, insbesondere im Terai, nicht die Bevormundung von Kolkata gegen die aus Darjeeling getauscht haben möchten. Verhandlungskunst und guter Wille auf beiden Seiten ist also gefragt.
Nachtrag 13. März 2019: Darjeeling ist seit Ende der 1950er Jahre Zufluchtsort von Flüchtlingen aus Tibet. In einem Selbsthilfezentrum werden traditionelle tibetische Handwerkstechniken gepflegt.
Weitere Informationen:
Unruhen in Darjeeling, THE HINDU online 19.6.2017
Basabi Khan Banerjee, Matthias Schmidt: Einheit in Vielfalt? Politische Separationsbestrebungen in Indien am Beispiel von Khalistan und Gorkhaland. Geographische Rundschau 1 (Januar) 2015, S. 32-39