Heilige Wasser

Wenn sich von Ende März bis Mitte Juni eine Hitzeglocke über das Land legt, bedeutet Wasser schieres Überleben. Wenn danach im Monsun Sturzfluten vom Himmel fallen und die ausgedörrten Böden ertränken, ist Wasser lebensgefährdend. Und wenn es endlich in Teichen gespeichert oder über Kanäle genutzt werden kann, ist es ein Segen. Wasser bestimmt das Schicksal Indiens und des ganzen Subkontinents mit seinen mehr als eineinhalb Milliarden Menschen. Und Wasser ist heilig.

In der indischen Mythologie lässt der Gott Shiva die Wasser vom Himalaya in sieben Strömen in die Ebene hinab zum Ozean fließen. Flüsse sind also nicht nur heilige Wasser, sie sind Götter und Göttinnen höchst selbst. Die/der wichtigste und heiligste unter ihnen ist Ganga (der Ganges). Vor einigen Tagen hat ein Gericht im nördlichen indischen Bundesstaat Uttarakhand den Flüssen Ganga und ihrem Zufluss Yamuna in einem Grundsatzurteil die gleichen Rechte auf Unversehrtheit zugesprochen, wie sie allen Menschen zustehen. Die anderen heiligen Flüsse des Subkontinents sind Indus (sein Name bedeutet schlichtweg: der Fluss = Sindhu), Godavari, Narmada und Kaveri. Zu der Siebenergruppe gehört auch der verschwundene Saraswati, nach dem Paläo-Hydrologen forschen. Es gibt Hinweise, dass dieser Fluss um 1500 v. Chr. noch als Nebenfluss des Ganges existiert hat und daher Bestandteil der zu jener Zeit entstandenen Hindu-Mythologie geworden ist. Es fehlt hingegen in dieser Gruppe der mächtige Brahmaputra (der Sohn Brahmas) im Nordosten des Subkontinents.

Indiens sieben heilige Flüsse

Vor allem das Wasser der Ganga ist heilig. Ganz im Süden des Subkontinents brüstete sich im 11. Jahrhundert der Chola-Herrscher Rajendra I. damit, seine neue Hauptstadt mit Ganga-Wasser geweiht zu haben. Von ihr ist heute nur einer der drei grandiosen Tempel erhalten, welche die Chola-Herscher bauten, aber der Name hat es in sich: Gangaikonda Cholapuram (= die Stadt des Chola, der das Ganga-Wasser holte).

Ein Bad in einem der heiligen Flüsse oder gar deren Zusammenfluss und Mündung gehört zu einem besonderen Akt jedes gläubigen Hindus. Besondere Bedeutung hat dabei die Stadt Varanasi. Hier hat ein Bad bei Sonnenaufgang an den Ghats, den Stufen zum Flussufer, besondere Segenskraft. An manchen Tagen finden sich zehntausende Pilger dort ein. Der Besucher muss früh aufstehen, um diesen Moment mit zu erleben. Man kann sich ein Boot mieten und die Badeghats entlang fahren.

Weiter flussabwärts brennen Scheiterhaufen. Die Asche der Verstorbenen wird dem Fluss übergeben und geht damit zurück in den Kreislauf des Lebens.

Asche im Fluss und Software in der Cloud  – ein Widerspruch?

Indien wird uns wahlweise als neuer Konkurrent in der globalisierten Wirtschaft präsentiert oder als mythischer Ort voller Sadhus, Ashrams und bunter Tempel. Geht das zusammen? Ja. Es ist kein Widerspruch, als Software-Entwickler mit Apartment in der Großstadt gleichzeitig in der kulturellen Tradition zu leben. Beides existiert zusammen und oft nebeneinander. Es mag unser Denkfehler sein, technische Modernisierung mit Überwindung von traditionellen Bezügen und Bindungen gleichzusetzen. Zwar reicht die Moderne über (soziale) Medien auch tief in die indische Gesellschaft hinein und provoziert Loslösung und Emanzipation. Man kann einem Land, welches Unity in (einer ungeheuren) Diversity sucht, nur wünschen, dass seine Entwicklung konsequent weiter geht, es dabei all inclusive ist und Tradition mit Fortschritt verbindet. Indien und mit ihm ein Sechstel der Weltbevölkerung hat gute Chancen, darin erfolgreich zu sein.   

Weitere Informationen:

Cauvery … regains its mojo. THE HINDU online 29 July 2018

Understanding the Brahmaputra, The Hindu online, 27th November 2017