Eine Selbsterfahrung am Merapi

Mitten in der Nacht an einem Lagerfeuer in 2100 m Höhe, an einem der gefährlichsten Vulkane der Welt, das bedarf einer kurzen Einleitung.

Als Fachredakteur hatte ich ab und an mit Vulkanologen als Autoren meiner Zeitschrift zu tun. Vulkane sind ein faszinierendes Forschungsfeld und verlangen zudem extremen körperlichen Einsatz der Forscher am Rand der Krater. Der Merapi auf der indonesischen Insel Java, unweit der Millionenstadt Yogjakarta, gehört zu den gefährlichsten Vulkanen der Welt und wird gerade deshalb intensiv erforscht. Eine Webseite bot die Besteigung des 2.900 m hohen Merapi über die „easy“ Nordroute an, so beschloss ich, dies bei einer Reise nach Yogjakarta zu versuchen – als halbe Couchpotato.

Ich buchte die Besteigung als „Sunrise at the Merapi“-Tour mit Guide und Auto ab Yogjakarta. Das hatte zur Folge, dass ein Wagen mich um 10 Uhr abends am Hotel abholte. Zwei Stunden fuhren wir durch die dunkle Nacht nach Norden und erreichten schließlich nach knapp zwei Stunden den kleinen Ort Selo, in rund 1.000 m Höhe auf dem Sattel zwischen den beiden Vulkankegeln gelegen (dem Merapi im Süden, der erloschene Merbabu im Norden – auf dem Foto oben vom Nordhang des Merapi aus gesehen). Das Auto hielt vor dem Haus von Suroto. Der drahtige Enddreißiger baut mit seiner Frau und Familie Tabak an und verdient sich ein wenig Geld mit Führungen auf den Merapi. Selo liegt noch (oder schon) in der blauen Zone der Karte, der Gefahrenzone 1. Suroto konnte sich an den Ausbruch ein halbes Jahr (siehe unten) zuvor erinnern: Die Erde bebte, die Scheiben zitterten. Aber von den Eruptionen war nur die Südseite des Vulkankegels betroffen. Er bot mir einen Tee an und machte sich fertig.

Um Mitternacht marschierten wir los. Gerade als wir an den Fuß des steilen Kraterabhangs kamen, fing es an zu drizzeln. Das machte den Aufstieg in stockdunkler Nacht nicht gerade leichter: kühle Luft mit extremer Feutigkeit und rutschigen, mit Asche bedeckten Pfaden. Suroto leuchtete mit einer Taschenlampe voraus. Der Aufstieg führte durch hohes Gras und Gebüsch, um große Felsblöcke herum und wurde immer steiler. Nach zwei Stunden erreichten wir den „half way point“ in knapp 2.000 m Höhe – wie Suroto mir lakonisch mitteilte. Wir kletterten noch rund 100 m höher, als ich merkte: den Rest von meiner Kraft brauche ich für den Abstieg!

Suroto schlug vor, ein kleines Camp hier am steilen Hang zwischen Felsbrocken und Büschen aufzuschlagen und machte sich prompt an die Arbeit. Er sammelte trockenes Holz und hatte in Minuten ein Feuerchen am Brennen.

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Ich schlief an einen Felsblock angelehnt schnell ein und wachte auf, als sich der Himmel verfärbte. Suroto hatte das Feuer bewacht und reichte Kaffee aus der Thermoskanne sowie ein Stück Kuchen. Das Farbenspiel der Wolken und der Glutball, der aus dem tropischen Dunst aufstieg – es hätte oben am Krater nicht besser sein können.

Der Kraterrand war von unserem Camp aus zu sehen, aber ab und an zogen Wolkenschwaden über ihn hinweg. Mein Begleiter ließ das Feuer niederbrennen und löschte den Rest an Glut mit Fußtritten.

Wir packten die Sachen zusammen und machten uns an den Abstieg. Meine Vorahnung bestätigte sich: Der Abstieg war noch anstrengender und vor allem gefährlich. In der Dunkelheit war nicht zu erkennen gewesen, wie steil es rechts und links der Flanke in den Abgrund ging, in den einst die Lava geflossen war. Wieder zeigte sich der Kegel des Merbabu zwischen den Bäumen, die ersten kleinen Terassenfelder mit Tabakpflanzen kamen in Sicht – Tabak vom Merapi, bestimmt eine tolle Vorstellung für passionierte Raucher.

Noch weiter unten trafen wir auf Frauen aus Selo, die Brennholz vom Merapi holten und die schwere Last (in Gummistiefeln) den steilen Hang runter schleppten. Um 10 Uhr vormittags waren wir wieder in Surotos Haus: ein kräftiges Frühstück und ein herzlicher Abschied, auch von seiner Frau, dann brachte mich das Auto zurück nach Yogjakarta. Mit Vulkanasche auf Hosen und Schuhen betrat ich die Lobby meines vornehmen Hotels. Keiner erhob auch nur die Augenbrauen.

 

Wohl und Wehe eines Vulkans – die Sicht eines Vulkanologen

Für die Menschen im Umland ist der Vulkan Gottheit und Wohltäter, da er ihnen mit fruchtbarem Boden eine Menge Ressourcen bietet. Auf einem Gemälde am Straßenrand in Yogjakarta wurde der Merapi zusammen mit fruchtbaren Reisfeldern und tropischen Wäldern dargestellt, ein Bild voller Frieden und Harmonie. Aber im Oktober 2010 brach der Vulkan aus und warf heiße Lavabrocken in Richtung Süden. Trotz rechtzeitiger Evakuierungen kamen Menschen durch Steinschlag und heiße Asche ums Leben, einige Dörfer wurden zerstört und der Flughafen der Millionenstadt blieb tagelang gesperrt.

Vulkane, vor allem solche in der Nähe von Millionenstädten wie Yogjakarta oder Neapel, sind der Inbegriff von archaischen Naturgefahren. Und viele fragen sich, warum Regionen an und um Vulkane meist dicht besiedelt sind. Hans-Ulrich Schmincke, Vulkanologe aus Kiel, hat dazu in meiner Zeitschrift (Geographische Rundschau, Heft 6-2011) die These vertreten, dass Vulkan und Mensch in einem wechselseitigen System von Nutzen und Gefährdung existieren. Mit dieser Sicht will Schmincke nicht die Gefahren von Vulkanen relativieren, sondern plädiert bei etwaigen Plänen zu aufwendigen Vorwarnsystemen dafür, die Perzeption der Anwohner mit einzubeziehen. In Indonesien gilt es, die Vulkane zu besänftigen. Und so pilgern Menschen zum Gipfel, um am Kraterrand dem Vulkan ein Opfer zu bringen. Nicht weiträumige Verbotszonen seien daher die Lösung (deren Einhaltung kaum zu kontrollieren ist), sondern die Einbeziehung der Anwohner in Vorwarn- bzw. Evakuierungspläne.

Vulkane zollen uns Respekt ab, als Gefahrenquellen, aber auch als überwältigende Naturerscheinungen. Mein Abenteuer am Merapi (und später am Stromboli) hat mir dies mehr als jede Zeitungslektüre gelehrt.

Weitere Informationen:

Webseite mit Informationen zum Merapi-Vulkan