Von Derwischen, Konya und (ein wenig) Politik

Wandtatoo eines tanzenden Derwischs (c) Evren Yildirim, http://www.meccastyle.com

Derwische gelten als „Quelle der Klugheit, der Poesie, der Erleuchtung und der Weisheit“, so steht es auf Wikipedia. Sie leben in einer Art Ordensgemeinschaft mit strengen Aufnahmeregeln und verzichten auf materiellen Reichtum. Die türkische Großstadt Konya ist vor allem für die „tanzenden Derwische“ bekannt. Die stehen aber nicht für Folklore, sondern gehören zum muslimischen Mevlevi-Orden aus dem 13. Jahrhundert. Er wurde vom Denker und Dichter Mevlana Celedaddin Rumi gegründet, der aus dem Nordostiran in die damalige Hauptstadt des Seldschuken-Reiches emigriert war. Mevlana begründete so den türkischen Sufismus, eine heute in vielen islamischen Ländern verbreitete mystizistische Form des Islam.

Der Sema, der jener Tanz der Derwische, „symbolisiert im mystischen Sinne göttliche Liebe und Wahrzeichen und Rückkehr zum Gott“, wie die von uns erworbene Broschüre über das Mevlana-Museum in etwas holprigem Deutsch formuliert. Hier in Konya liegt der Ursprung der Derwischbruderschaft.  Über dem Sarkophag ihres Gründers erhebt sich der türkisblaue Rundturm, der zum Wahrzeichen von Konya geworden ist. Am Tag unseres Besuchs im Museum war „free entry„, wie uns ein freundlicher junger Mann am Eingang zurief.

Aber das allein war nicht der Grund für die vielen Besucher aus dem In- und Ausland, die durch die Hallen und Räume des Museums strömten. Denn tatsächlich ist das einstige Kloster und das Grab des Ordensgründers ein wichtiges Pilgerziel in der Türkei. Mevlanas Betonung von gegenseitiger Achtung und Toleranz steht allerdings im Gegensatz zu einigen politischen Tönen, die derzeit aus der Türkei kommen. Gerade deshalb offenbart ein Besuch in Konya zwei Seiten der vielleicht gleichen Medaille.

Konya hat heute 2 Mio. Einwohner und gehört so zu den zehn größten Städte der Türkei. Anzumerken, dass die Stadt eine stadtplanerische „Transformation“ durch gemacht hat, ist untertrieben. Von modernen Boulevards und Hochhäusern im Westen (u.a. mit der Kuele Site-Mall) zum neu gestalteten Bazar und der Achse zwischen dem Alladin-Hügel und dem Mevlana-Museum ist die Stadt von Grund auf modernisiert: Fußgängerzonen, guter öffentlicher Nahverkehr, Fahrradmietstationen, aber auch moderne Parkraumbewirtschaftung und öffentliche Grünflächen. Zudem werden – sicher nicht unumstritten – alte Häuser im Osten der Stadt abgerissen und durch moderne Apartments ersetzt. Konya hat einen Flughafen und neuerdings eine Hochgeschwindigkeits-Bahnstrecke zur Hauptstadt Ankara. Vieles davon wiederholt sich in anderen Städten der Türkei, die wir in den letzten Jahren besucht haben: von Kayseri bis Diyarbakir, von Sanliurfa bis Malataya. Auch in kleineren Städten wie Nevshehir, Silifke, Tarsus oder Erzincan wird renoviert und gebaut. Uns erschienen deren Innenstädte lebenswert, gepflegt und sicher.

Die ungeheure infrastrukturelle Modernisierung der Türkei ist Bestandteil des Regierungsprogramms der AKP und schon im Namen der Partei enthalten (Adalet ve Kalkınma Partisi, Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung). Sie geht einher mit einer religiös-kulturellen Rückbesinnung. Dieser widersprüchlich erscheinende Prozess wurde bislang von einer Mehrheit der türkischen Bürger mitgetragen. Aus den Parlamentswahlen im Juni 2015 ging die AKP aber nicht mehr mit einer absoluten Mehrheit hervor, sie wäre auf eine Koalition angewiesen gewesen. Zu einem solchen „Sprung über den Zaun“ war die AKP nicht willens. Es gab im November 2015 eine weitere Wahl, welche der AKP wieder zur absoluten Mehrheit verhalf.

Die politische Entwicklung von da ab ist hinreichend dokumentiert und kommentiert: der Malstrom des Syrien-Krieges, Aufkündigung des Waffenstillstandes mit der PKK, Terrorattentate in den Metropolen Ankara und Istanbul, Rückgang des Tourismus und des Wirtschaftswachstums, verhinderter Militärputsch im Sommer 2016 mit den Folgen für Pressefreiheit und Verfolgung Verdächtiger sowie jetzt, im April 2017, die Abstimmung über die Verfassungsänderung hin zu einem Präsidialsystem. Wer immer diese Agenda puscht, die Bürger müssen sie am Schluss mehrheitlich mittragen wollen. Man wünscht den Politikern in der Türkei – und beileibe nicht nur denen – dazu mehr vom Geist und Handeln der Derwische.

Weitere Informationen:

Konya bei Wikipedia

Mevlana-Museum bei Wikipedia

Webseite der AKP (in Englisch)

AKP (in Deutsch) bei Wikipedia