Auf Gleis 2 kriechen Schlingpflanzen in die Bahnsteigmitte, aus einem Flügel des Bahnhofsgebäudes wachsen Bäume wie schützende Schirme, die das wundersame Gemäuer verstecken sollen. Ein Dschungel im Bahnhof, fehlt nur die Elefantenherde.
Die Bahnhofsuhr ist auf „3 Uhr“ stehen geblieben – wohl in jener Nacht, als der letzte Zug den Bahnhof verlassen hat. Verlassen ist auch das Büro des „Station Managers“, in der Eingangshalle rostet eine Waage vor sich. „Train Timings“ – in drei Sprachen (Malayalam, Hindi und Englisch) – stammen aus einer anderen Zeit.
Die Szene wie aus einem Harry Potter-Film ist real: Cochin Harbour Terminus, auf Willingdon Island in der Lagune der südindischen Hafenstadt gelegen, ist verwaist, seit die Bahnbrücke zum Festland beschädigt wurde. Unglaublich schnell und befördert durch die jährlichen Monsunregen hat sich im tropisch feuchten Klima die Natur des Bahnhofs bemächtigt.
Ab Mitte der 1940er Jahre kamen hier die Züge aus dem ganzen Subkontinent an. Indien war da noch „British“, und so nutzten die Europäer die bequeme Lage des Harbour Terminus zum Einschiffen nach Suez, Ceylon oder Singapur. Nach 1947 gab es kaum noch Passagierschiffe in Cochin (erst heute kommen wieder Kreuzfahrtschiffe in die Lagune), da Bombay/Mumbai zum wichtigeren Hafen wurde. Der Bahnhof blieb jedoch an das indische Bahnnetz angeschlossen, mit Fernverbindungen bis nach Amritsar oder Allahabad.
Aber irgendwann in den vergangenen Jahrzehnten wurde Cochin Harbour Terminus nur noch aus nostalgischen Gründen angefahren. Die Mehrheit der Passagiere nutzte den Festlandsbahnhof in Ernakulam, dem schnell wachsenden modernen Teil der Millionenmetropole in Kerala. Mit der beschädigten Brücke kam dann der Bahnbetrieb vollends zum Erliegen.
Es gibt dennoch ein Rest „Leben“ in der Anlage. Willingdon Island ist weiterhin Bestandteil des Hafenbetriebes in Cochin. Kleinere Frachtschiffe für den indischen Küstenverkehr landen hier an, auch die Passagierschiffe zu den Lakkadiven, jener zu Indien gehörenden Inselgruppe nördlich der Malediven (und vollends in deren touristischem „Schatten“ gelegen). Und so nutzen viele auf der Insel Arbeitende den kleinen Ticketschalter im Bahnhof für ihre Zugreservierungen. Im linken Flügel des Bahnhofsgebäudes haben sich Marinesoldaten der nahen Naval Base Cochin einen Freizeit-Treffpunkt organisiert („Service with a Smile“).
Wie immer in Indien liegen Niedergang und Neubeginn ganz nah beieinander – jener ewige Kreislauf des Lebens.
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Cochin Harbour Terminus bei Wikipedia